Der Zürcher Regierungsrat muss eine Anonymisierung der Bewerbungsverfahren für Verwaltungsjobs prüfen. Längst nicht alle unterstützen das Anliegen.
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Der Zürcher Regierungsrat muss eine Anonymisierung der Bewerbungsverfahren für Verwaltungsjobs prüfen. (Symbolbild) - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Zürcher Regierung soll eine Anonymisierung der Bewerbungen in der Verwaltung prüfen.
  • Der Kantonsrat hat gestern ein entsprechendes Postulat mit 111 zu 55 Stimmen angenommen.
  • Längst nicht alle sind mit dem Anliegen einverstanden: Die SVP wittert «Woke-Kultur».
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Die Bewerbungsverfahren für Stellen in der Zürcher Kantonsverwaltung sollen anonym werden. Der Kantonsrat hat sich mit 111 zu 55 Stimmen für ein entsprechendes Postulat ausgesprochen. Demnach hat der Regierungsrat jetzt zwei Jahre Zeit, um zu überprüfen, ob eine Anonymisierung der Bewerbungsverfahren umsetzbar und zielführend wäre. Das Ziel des Anliegens: Personalverantwortliche sollen grundsätzlich erst nach dem Versand der Einladung zu einem ersten Bewerbungsgespräch Einsicht in gewisse Personalien der Bewerbenden erhalten.

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Blick in eine Sitzung des Zürcher Kantonsrats. - Keystone

Konkret sind dies Informationen wie Name, Foto, Nationalität, Zivilstand, Alter und Geschlecht. Das Anliegen bezieht sich nur auf das Bewerbungsverfahren in der Kantonsverwaltung, nicht aber auf die Privatwirtschaft. Für die Erstunterzeichnerin des Postulates, Melissa Näf (Grünliberale), steht fest: Schweizerinnen und Schweizer mit Migrationshintergrund werden im Bewerbungsprozess auch heute noch diskriminiert.

Diskriminierung im Bewerbungsprozess?

Gemäss einer Studie der Universität Neuenburg müssen Secondos rund 40 Prozent mehr Bewerbungen schreiben, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. «Diese Zahl hat mich zutiefst irritiert, denn mir ist Fairplay sehr wichtig», erklärt Näf. Weiter betont die Grünliberale: «Nicht nur die Herkunft, auch Alter, Aussehen oder Geschlecht können Gründe sein, bei einer Bewerbung schlechtere Chancen zu haben.»

Melissa Näf Zürich GLP
Melissa Näf, Kantonsrätin Zürich (GLP). - GLP Zürich

Anonymisierte Bewerbungsverfahren seien ein wirksames Mittel, um unbewusste Diskriminierung im Auswahlverfahren auszuschalten. Leider könnten auch in einer anonymisierten Bewerbung bewusst Personen ausgeschlossen werden, wenn darauf abgezielt wird. Wenigstens müsse ein Bewerbungsdossier dafür aber genauer studiert werden und könne mit Erfahrungen und Fachkenntnissen punkten.

Ein Experte ordnet ein

Dem pflichtet auch Michael Graff von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich bei. «Die aktuelle Forschung zeigt: In Europa gibt es bei Schulnoten, der Wohnungssuche und nicht zuletzt bei der Stellensuche massive Diskriminierung zugewanderter Menschen.»

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Im Ausland ist das anonymisierte Bewerbungsverfahren oft der Standard. - Jdpa

Dies gelte primär für Personen, die als «ethnisch fremd» identifiziert werden, sei es aufgrund des Aussehens oder des Namens. In der Schweiz treffe dies derzeit vornehmlich Menschen, die als «albanisch oder kosovarisch» oder «afrikanisch» eingeordnet werden. Aus diesen Gründen begrüsst der Experte den Vorstoss des Kantonsrats.

Die SVP sieht keinen Handlungsbedarf

Das Anliegen stösst jedoch längst nicht nur auf positive Reaktionen, primär die SVP hat im Kantonsparlament dagegen gestimmt. Für Kantonsrätin Romaine Rogenmoser (SVP) besteht in der Angelegenheit derzeit kein Handlungsbedarf: Das Personalgesetz regle schon heute, dass Anstellungen aufgrund der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerbenden vorgenommen werden müssen. Ein diskriminierungsfreier Bewerbungsprozess sei bereits jetzt ein zentraler Faktor der Personalpolitik des Kantons.

Romaine Rogenmoser
Romaine Rogenmoser, Kantonsrätin Zürich (SVP). - romainerogenmoser.ch

Überdies würden die Personalverantwortlichen schon heute intensiv geschult, um Diskriminierung im Bewerbungsprozess zu minimieren. Schliesslich stelle das Schwärzen von Bewerbungsunterlagen auch einen erheblichen Mehraufwand dar, der zusätzliche Kosten verursache. Die SVP-Kantonsrätin ist überzeugt: Diskriminierung sei heute kein systematisches Problem mehr – wenigstens nicht bei städtischen und staatlichen Anstellungen. Für Rogenmoser präsentiere sich das Anliegen eher als Zelebrierung der «Woke-Kultur»: Es werde ein Problem bewirtschaftet, das keines sei.

Pilotprojekt in der Stadt Zürich von FDP und GLP lanciert

Tatsächlich hat die angesprochene Studie aus Neuenburg Diskriminierung «nur» in Berufen nachweisen können, die einen Lehr-, aber keinen Hochschulabschluss benötigen. Überdies wurden lediglich Bewerbungen im privaten, nicht aber im öffentlichen Sektor untersucht.

Anonymisierte Bewerbungen – eine gute Idee?

Deshalb hat FDP-Gemeinderat Përparim Avdili ein Pilotprojekt angestossen, um die Wirksamkeit von anonymen Bewerbungsverfahren auf Herz und Nieren zu prüfen. Vor einer breiten Umsetzung von anonymisierten Bewerbungsverfahren müsse untersucht werden, ob diese überhaupt sinnvoll sind. Der FDP-Vorstoss ist in der Stadt Zürich unabhängig vom Anliegen im Kantonsrat zustande gekommen. Bis dato wurde er allerdings noch nicht umgesetzt.

Die Resultate des Pilotprojekts, hier sind sich die befragten Kantonsparlamentarierinnen einig, werden auch im Bericht der Kantonsregierung Eingang finden müssen.

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